So meine Lieben, es kommt doch noch ein Beitrag. Für meine Entsendeorganisation ijgd habe ich einen abschließenden Erfahrungsbericht verfasst, in dem ich versuche meine Entscheidung wegzugehen, meine Zeit in Kenia und meine resultierenden Denkanstöße zusammenzufassen. Genau diesen Text könnt ihr hier nun lesen. :)
Schule, Abitur und
was dann? Die Frage beschäftigt wohl jeden in seinen letzten Schuljahren. Für
mich kam es nicht in Frage, direkt mit dem Studium anzufangen. Abgesehen davon,
dass ich noch keine genauen Vorstellungen davon hatte, was es denn nun für ein
Studium sein sollte, verspürte ich diese Unruhe in mir. Eine Unruhe, die danach
schrie allem Bekannten, allen Schubladen, jedem Alltag zu entkommen und den
Kopf frei zu bekommen.
Man könnte es
beschreiben als die altgewohnte „Suche nach sich selbst“. Ich würde es aber
eher als einen Augenblick des Innehaltens beschreiben.
Fern von allem: durchatmen,
die ganze Welt auf den Kopf stellen, sich selbst einmal ordentlich durchrütteln
und sehen, was ich eigentlich wirklich nicht kann und was vielleicht doch. Mich
erleben, an einem Ort, an dem ich mich selber noch nicht kenne. Mehr oder
weniger also ein Trip, den ich für mich getan habe. Auch wenn bei der ersten Entscheidung,
in ein Entwicklungsland zu gehen, das „Helfer“-Klischee durchaus eine entscheidende
Rolle spielte.
Einmal mit weniger Luxus leben, Armut sehen, Selbstverständliches zu schätzen
lernen und mir selbst beweisen, dass ich nicht nur rede und rede, sondern auch
für meine Überzeugungen der Hilfsbereitschaft selber eintreten kann. Soweit die
von mir ausgemalte Theorie. Nun bekam ich doch wirklich eine Zusage für Kenia.
Nachdem ich meinen Auslandswunsch schon seit einem Jahr, während der
Entscheidungs- und Bewerbungsphase, stur gegen alles und jeden verteidigt
hatte, wurde es ernst und all meine großen Worte verflüchtigten sich in eine
leichte Panik. Kann ich das? Will ich das? Ich schreibe nun diesen Bericht,
also ja, ich habe die Zähne zusammengebissen und zugesagt. Mit jeder anderen
Entscheidung hätte ich mich von mir selbst verraten gefühlt. Nachdem ich
zugesagt hatte, verflogen alle Bedenken und die aktive Vorbereitung begann. Mit
Seminaren, die mein gesamtes Denken einmal umstülpten und neue Gedankengänge
zuließen. Entwicklungsarbeit, Freiwilligendienste, all jenes…ist das denn immer
gut? Und was wollte ich, helfen? Ich? Wem? Wohl vor allem mir. Nachdem ich
meinen gesamten Ansporn für dieses Jahr in Kenia nochmal gründlich überdacht
und neu ausgelegt hatte, hieß es endlich Abschied nehmen und ab ins Flugzeug. An
den Ort, von dem alle seit Monaten redeten, mit guten Ratschlägen und
Spekulationen von dem, was kommen mochte - von dem sie, wie ich - aber
eigentlich nichts wussten.
Ankunft. Wir waren
etwa 14 Freiwillige, die zusammen in Nairobi landeten. Zu dem Moment noch
größtenteils Fremde, so sollten wir doch mit der Zeit zu einer kleinen Familie
zusammenwachsen, auf die ich mich in jeder Lage zu 100% verlassen konnte und die
auch jetzt noch, eine essentielle Rolle in meinem Leben spielt.
Und wie sah das
sonst mit Familie aus? Ich habe während meiner Zeit in Kenia aus verschiedenen
Gründen in mehreren Wohngelegenheiten gewohnt. Bei Familien, aber auch bei
einem Junggesellen und ganz zuletzt im Projekt selbst. Die Unterbringungen
waren von ihrer Ausstattung und dem ganzen mich umgebenden Leben sehr
unterschiedlich. Von der alleinerziehenden, arbeitenden Mutter, über eine
täglich zu wachsen scheinende Großfamilie, einen gesprächigen Junggesellen und
schließlich umgeben von meinen immer aktiven students. Mal mit Gasherd und
Kühlschrank aber die halbe Woche ohne fließendes Wasser, dann mit Kochhilfe,
Gaskocher und weniger Platz, dafür immer warmen Wasser, dann das Leben mit
Waschmaschine und Musikanlage aber auch hier mit dem altbekannten Wasserproblem
und schließlich mit Außenklo, eiskalter Dusche mit Brunnenwasser und ohne Strom
im Zimmer. Verschiedene Lebensweisen. Die einen haben das, dafür „fehlt“ ihnen
was anderes. Was ich am Anfang für selbstverständlich hielt (wie den Gasherd),
stellte sich später als etwas Besonderes heraus. Und was lernte ich daraus,
außer, dass niemals Alles so ist, wie es einseitig gesehen erscheint? Ich
lernte, dass mir nie irgendetwas gefehlt hat. Nicht der Gasherd, nicht der
Kühlschrank, nicht die Waschmaschine, nicht das warme Wasser. Für alles gibt es
Ersatz und seine Tricks. An keinem Ort habe ich „besser“ gelebt, als an einem
anderen. Ich war Zuhause und habe meinen Alltag ganz normal gelebt. Nicht
schlechter und nicht anstrengender als in Deutschland. Einfach nur anders.
Bei meiner Einsatzstelle
sah es genauso divers aus, wie bei den Unterbringungen. Ich war in mehreren
Projekten. Waisenhaus, Primary School und in einem Heim für mental Behinderte.
Und ich habe sie
alle geliebt. Egal in welchem Projekt, ich wurde von den Schüler_innen herzlich und mit viel Neugierde aufgenommen. Sie
lernten meinen Namen, die Namen meiner Eltern und Brüder, freuten sich über
mein Haar, meine Bilder und Versuche, Kiswahili zu sprechen. Sie freuten sich,
mich zu sehen. Genauso wie ich mich an ihnen freute und allein darin, hatte ich
meine Rechtfertigung und meinen persönlichen Grund für meine Zeit in Kenia
schon gefunden. Wo man mit Liebe willkommen geheißen wurde, geht man nur
schweren Herzens wieder weg. Und so wog mein Herz gegen Ende mehr als 100kg.
Da mein letztes
Projekt noch von Weltwärts angeboten wird, will ich darauf etwas näher
eingehen. Das Marianne Center für mental Behinderte, liegt im Kiambu District,
nahe der Stadt Limuru. Signifikant durch seine Kälte… . Nach meinen neun
Monaten im angenehm warmen Nairobi ein ungläubiger Schock. Das Center ist von
Wald umgeben und zum Teil noch eine Baustelle, da es erst vor nicht langer Zeit
dorthin umgezogen ist. Wir hatten zum Beispiel bei uns im Girls Dorm noch
keinen Strom und das zweite Klassenzimmer wurde noch fertiggestellt, als ich
gegangen bin. Die Behinderungen unserer students variieren stark. Einige haben
nur eine Lern- bzw. Rechtschreibschwäche, andere haben schwerere Behinderungen.
Auch wenn es anfangs nicht leicht war, sich von dem lebhaften und
ereignisreichen Leben in Nairobi auf die Stille und Abgelegenheit des Centers
einzulassen, brauchte ich nur etwa zwei Tage um mich in mein neues Zuhause zu
verlieben. Nicht, weil ich ein unglaublich anpassungsfähiger Mensch bin,
sondern, weil ich von allen Seiten herzlich aufgenommen und belagert wurde. Da
ich im Unterricht beim Schneidern, Beadwork und anderen Handarbeiten nicht viel
helfen konnte, machte ich es mir bald zur Aufgabe den Nachmittag zu gestalten,
wenn die Lehrer fort waren. Sobald ich mit dem Laptop zum Klassenzimmer ging,
kamen von überall „Music!!“-Rufe und bald saßen wir alle gespannt zusammen und
suchten Lieder aus, auf die es nun zu Tanzen hieß. Außer uns waren noch die
Köchin, die Matron und der Aufpasser für die Jungs im Center. Genießen duften
wir täglich Githeri und Ugali. Festschmaus, bis
man es zum dritten Mal vorgesetzt bekommt.
Vor dem Schlafen
gehen wurde geplaudert, weiter getanzt, Emails von meinen Schüler_innen an
meine Familie geschrieben oder ich wurde zum Fotoshooting im Girls Dorm
verdonnert. Um neun war dann jedoch Schlafenszeit für meine Mädels und für mich
war es Zeit leise zum Brunnen zu schleichen und mit meiner Kopflampe zu Duschen
- möglichst ohne den Schönheitsschlaf der anderen zu stören.
Am Wochenende ging
es oft nach Nairobi, meine erste Heimat. Ort zum ausgelassenen Beisammensein
mit anderen Freiwilligen und Freunden, zum Shoppen und Kochen und Tanzen. Der
Ort, von dem aus alle unserer schönsten Reisen gestartet sind. Mit Backpacker
und Verspätung und der Freude, dass unser Bus noch mehr Verspätung hatte als
wir. Dann ging es - mit Blick über die weiten Flächen Kenias - nach Mombasa
oder Nakuru oder Kisumu, bald schon nicht mehr die Zebras und Gazellen als
etwas Besonderes wahrnehmend, sondern ausgelassen über Geschehnisse des Alltags
plaudernd, die Strecken kennend und in Smalltalks mit Fremden verstrickt. Viele
dieser Begegnungen begleiten mich noch heute. Als Anlass zum Schmunzeln, zum
Grübeln oder als eine Geschichte, die es wert ist, weitergetragen zu werden.
Wenn ich so
zurückdenke, frage ich mich, was ich eigentlich diese ganzen elf Monate getan
habe. Es gab doch so viel mehr zu sehen, so Vieles zu erleben. Aber mich hat es
immer wieder an die gleichen Orte zurückgezogen, in die gleichen Clubs, die
gleichen Hostels, zu den gleichen Obstständen, zu den gleichen Leuten, in die
gleichen Busse. Aber das macht nichts. Ich hätte mehr sehen können, aber so
kann ich sagen, dass ich weder in Nakuru, noch in Kisumu oder Ahero, Mombasa,
Kampala, Nairobi, Limuru oder auf Lamu jemals allein, verloren und heimatslos
dastehen würde. Und das ist ein schönes Gefühl. So viele Menschen, die ich
kennen lernen durfte. All die zufälligen, kurzen Begegnungen, die ich in
Deutschland sehnlichst vermisse. Meine Projekte, die mich mehr gelehrt haben
als ich sie. Die vielen schönen, kleinen Momente, die ich auf keiner Kamera
festhalten konnte. So vieles, auch Erfahrungen über mich. Die Erkenntnis, dass
ich mehr kann, als ich mir oft einrede. Dass ich egal wo klar komme, solange ich
mich nicht verstecke und mich traue, auch mal zu vertrauen. Sei es auf mein
Bauchgefühl, dass mir sagt, ich sollte an diesem Ort nicht sein, oder auf
Menschen und ihre Hilfsbereitschaft.
Mehr noch: Ich habe
erfahren, dass ich „weiß“ bin und nicht immer nur die anderen „schwarz“. Ja.
Zum ersten Mal in meinem Leben war ich ganz bewusst und offensichtlich weiß. Und
dieses Weiß-Sein war keine Selbstverständlichkeit, sondern etwas, über das es
sich zu reden lohnt, ein Gesprächs- und Diskussionsthema zu jeder Lebenslage.
Wann redet man in Deutschland mal nicht über das schwarz- sondern das Weiß-Sein?
Zusammengefasst,
mir wurde bewusst, dass Dinge manchmal so sind wie sie erscheinen, aber nie
vollkommen, durch und durch wie sie erscheinen, sondern auch anders. Alles hat
mehr als nur zwei Seiten, alles beinhaltet viele Geschichten und Gesichter,
Meinungen und Perspektiven, Gesagtes sowie Ungesagtes, das nicht vernachlässigt
werden darf.
Mich haben diese
elf Monate und die dazugehörigen Seminare in meinem Denken über Begriffe wie
„Afrika“, „Entwicklungsländer“, „Armut“, „Entwicklungsarbeit“ und „Helfen“ stark
bewegt. Tatsachen, die für mich unerschütterlich wirkten, wurden umgedreht und
ich bin dabei, mir eine neue, eigene Meinung aufzubauen. Was ist „Armut“? Wem
muss, sollte oder kann man „helfen“ und warum eigentlich? Beziehungsweise,
warum vielleicht auch grade nicht? Und wie sollte man das am besten anstellen?
Und noch viel mehr Fragen, für die ich noch nach einer für mich passenden
Antwort suche. Und trotzdem…dieses Jahr würde ich, vielleicht anders, aber
trotzdem zu jeder Zeit wiederholen und niemals bereuen, dafür war es für mich
viel zu wertvoll.