Donnerstag, 3. Oktober 2013

31 Tage Sommer im Herbst

Ankunft


Es ist jetzt 31 Tage her, dass ist nachts, mit vier Stunden Verspätung, in Nairobi gelandet bin.
Montag den 02.09. ging es morgens um 07.30Uhr vom Frankfurter Flughafen aus los nach London. Wir waren schon zu 4. und haben in London die restlichen Freiwilligen angetroffen.
In London hieß es erst mal, stundenlang im Flugzeug warten, während irgendein Schaden repariert wurde.
Irgendwann ging es dann doch los und wir überflogen das uns bekannte Europa, um schließlich auf der Flugkarte Ländernamen, wie Ägypten oder Sudan zu erkennen. Wir waren wirklich unterwegs.
Bei der Ankunft konnte ich es kaum glauben. Total fasziniert von dem Gedanken, grade in Kenia gelandet zu sein, ging es durch die Passkontrolle und zu unserem Gepäck, das Gott sei Dank auch tatsächlich kam.
Draußen wurden wir von zwei Mitgliedern unserer Organisation CIVS empfangen und in unser Hostel gebracht.
Zuerst waren wir alle überrascht, wie gut die Straße nahe des Flughafens ausgebaut war. Das änderte sich schnell, bald glich die Fahrt einer Achterbahnfahrt. Auch wenn man hier eigentlich links fahren sollte, fanden wir uns öfters auch mal auf der rechten Straßenseite wieder und waren alle heil froh, als wir dem Gegenverkehr jedes Mal knapp entkamen.
Ich muss zugeben, ich war erstaunt, als wir an unserem Hostel ankamen und uns gesagt wurde, wir würden uns in Buruburu befinden. In der Dunkelheit sah alles ärmlicher aus, als ich es erwartet hatte.
Aber nun hieß es erst mal mit der neuen Situation klar zu kommen. Jeder brachte eine neue in Deutschland hundert mal gehörte Weisheit hervor, die es plötzlich tatsächlich umzusetzen hieß. "Darf man Klopapier ins Klo werfen?", "trinkt ja nicht das Wasser!!", "wie sollen wir uns die Zähne putzen?", "wie soll ich in einem mehrstöckigen Bett mit Moskitonetz schlafen??", und so weiter.
Wir haben es alle überlebt und sind irgendwann mitten in der Nacht müde ins Bett gefallen.
Am nächsten Tag sah das Leben gleich viel schöner aus.
Die Sonne schien und es erwartete uns Chaitea und Toast mit Margarine zum Frühstück. Früchte gab es sogar ausnahmsweise auch. Mit der Zeit sind wir alle zu Avocadojunkies geworden, da Avocado mit Salz nun mal viel besser auf Toast schmeckt als einfach nur Margerine mit Salz. 
Wir blieben genau eine Woche in unserem Hostel. Genug Zeit um zu lernen, wie man sich mit Eimern duscht, dass die Klospülung ab und an per Hand nachgefüllt werden sollte und dass Buruburu eigentlich ein sehr schöner Ort ist.
Nur mit dem Wetter waren wir uns anfangs nicht einig. Die einen saßen im dicken Pulli draußen und froren wie sonst was, während die andern (ich zum Beispiel) die meiste Zeit so dünn bekleidet wie möglich versuchten, der Hitze zu entkommen.
Am ersten Tag ging es auch gleich rein nach Buru. Was heißt rein, Buru Centre besteht eigentlich nur aus einer großen Straße. Beim Geldwechseln und Handykartenkaufen wurden wir gleich mit der kenianischen Zeit vertaut gemacht. Es dauerte ewig. Und selbst für die Simkarte mussten wir unseren Pass vorzeigen, was mir erstmal sehr befremdlich vorkam.
Aber zu Buru. Wie soll man Buru beschreiben? Man tritt aus seinem bewachten Court heraus und würde man auf seinem Weg durch die Straßen Burus Fotos schießen, sähe man bestimmt viel Müll, freilaufende Hühner, Staub und dunkle Abgase, Verkehrschaos, ein Obststand nach dem andern, kleine Geschäfte, Arbeiter, die schweißen, hämmern und bauen, Frauen, die Lasten auf Rücken oder Kopf schleppen, Flammen, von brennenden Müllhaufen, erdige, unebene Wege. ..
Das klingt nicht schön? Dann lasst uns das Foto zerreißen und einfach durch die Straßen laufen.
Und plötzlich verschwinden Müll und Chaos aus dem Mittelpunkt und alles sieht einfach nur noch schön aus. Mir ist wirklich kein anderes Wort eingefallen, als „schön“, während ich durch Buru lief. Auch wenn es schwer zu beschreiben ist und wohl auch nicht von jedem so empfunden wird.
Da sind diese Unmengen an Kindern, die oft auch mal den Mzungus zuwinken oder zurufen (Mzungu=Weißer), und diese zum großen Teil unglaublich gut und bunt gemischt gekleideten Menschen (die Traditionellen, die Buisnessleute, die Einfachen, die Coolen, die Schicken. Man merkt, hier gibt es keinen H&M, der Individualität der Kleidung ersetzt), die vielen Stände mit unglaublich leckeren Früchten, die kleinen Shops, in denen immer Menschen zusammen stehen und reden, Männer, die einfach auf der Straße Betten bauen, die ich mir sofort kaufen würde, wenn ich wüsste, dass sie in meinen Koffer passen. Ständig höre ich von irgendwo Musik, sei es selbst gesungen, aus Autos oder von kleinen Musikständen. Und das wichtigste, das Leben pulsiert. Es pulsiert wirklich, überall.
Natürlich wird man auch oft angesprochen. „Hi!“, „How are you?“, „He, mzungu!“.
So habe ich es zumindest bisher erlebt und wahrgenommen.



Matatu fahren („Bus“/Sammeltaxi)


Die erste Matatufahrt ging in die Stadt, um in kleinen Gruppen bestimmte Fotos zu schießen (zum Beispiel eine Pyramide aus 10 Personen, sehr amüsant!). Wir haben ein Musikmatatu erwischt. Auch noch eines mit wirklich guter Musik. Es war der pure Wahnsinn. Ganz hinten, wo wir saßen, hüpft man bei Schlaglöchern auch noch schön hoch. Wir haben uns nicht mehr eingekriegt vor Lachen.
Das System zu verstehen hat etwas länger gedauert. Anscheinend schwanken die Preise je nach Wetter und Tageszeit. Regen und Rush Hour führen zu einer Erhöhung. Es gibt keine Durchsagen, keine Haltestellen oder sonst etwas. Das Matatu hält einfach an einigen Stellen. Wenn man irgendwo auf der Straße rausgelassen werden will, geht das auch. Um rauszufinden, welches der vielen Matatus das Richtige ist, fragt man am besten den Conductor. Der hängt die meiste Zeit zur offenen Tür heraus. Wenn man nicht weiß, wie das Ziel aussieht, sollte man auch sicherstellen, dass jemand einem rechtzeitig Bescheid gibt. Es ist wirklich ein Spaß. Teilweise auch ein sehr enger und sehr holpriger Spaß. Bei schlechter Musik oder einem grummeligen Magen kann es auch schon mal nervig sein.



Pikipiki fahren


Eine andere Art des öffentlichen Verkehrs stellt das Pikipiki dar. Ein Motorrad in mehr oder weniger gutem Zustand. Auch da läuft oft Musik. Es kommt auch ständig vor, dass der Fahrer telefoniert. Meistens hat man Telefonnummern von Pikipiki und/oder Taxifahrern, von denen man weiß, dass sie sicher und fair im Preis sind. Ob sie so pünktlich kommen, wie sie sagen, ist eine andere Frage...


Essen

Ich hätte es echt nicht erwartet, aber das Essen hier ist der Hammer. Gut für mich, schlecht für meinen expandierenden Bauch. Aber wie meine Mutter sagt „neue Hosen kann man überall kaufen, genieß das Essen“. Wo sie recht hat, hat sie recht. Unser Koch im Hostel war der hammer. Aber mittlerweile hab ich meine Stände gefunden, zu denen ich immer gehe, um mir meine Samosas (gefüllte Teigtaschen), Chapati (Art Teigfladen) und mein Obst zu holen (Mango, Avocado, Bananen, ab und an auch mal einen teuren Apfel, Ananassticks, Melonenstücke, …). It's all about relationships, sobald mir ein Stand gefällt, kaufe ich diese eine Sache praktisch nur noch dort ein. Auch wenn ich dafür etwas weiter laufen muss. Die Verbindung zu den Verkäufern ist durch die Ministände viel persönlicher und enger. Ich hätte ein schlechtes Gewissen, meinen Chapatimann (der echt die besten Chapati dieser Welt macht!) nicht mehr aufzusuchen.
Ansonsten haben wir in Buru einen großen Supermarkt, wo ich mein Wasser und meine überlebenswichtige Schokolade und auch sonst einfach alles her kriege. Mir wurde ja gesagt, dass ich hier alles kaufen kann. Aber einen mehrstöckigen, bestens ausgestatteten, normalen Supermarkt hatte ich trotzdem irgendwie nicht erwartet.
Mangosaft, Trinkjoghurt, Waschseife, gedruckte Fotos, Kekse, Wasserkocher, was hab ich in diesem Laden nicht alles schon gekauft? Sparen wird wohl doch nichts.


Meine Gastfamilie

Am 10.September bin ich zusammen mit meiner Mitfreiwilligen Merlyn zu meiner neuen Gastmutter und Gastschwester (21) gezogen. Wir haben zum Glück beide ein eigenes Zimmer und leben auch ansonsten im absoluten Luxus. Andere Freiwillige, die zu Besuch kommen, sind jedes Mal aufs Neue am Staunen. Wir haben einen kleinen Vorhof, wo wir Wasser holen und Wäsche waschen. Betritt man das Haus steht man zunächst im sehr sauberen Wohnzimmer, mit mehreren Sofas/Sesseln und einem großen Flachbildfernseher. Direkt hinter dem Fernseher befindet sich mein Zimmer.
Unten ist auch noch das Esszimmer und die Küche. Mit Gasherd, großem Kühlschrank und Mikrowelle. Wenn man nach oben geht, kommt man ins Badezimmer, zum Klo und den Zimmern von Merlyn, „Mutter“ und „Schwester“. Das Wasser muss also immer nach oben geschleppt werden.
Das klingt erst mal alles ganz gut. Allerdings hat jeder Luxus auch seinen Haken.
Den Fernseher würde ich oft am liebsten mit einem Hammer bearbeiten. Meine Gastschwester hat zurzeit nichts zu tun, also sitzt sie 7 Tage die Woche von früh bis spät auf dem Sofa vor dem Fernseher und schaut sich auf höchster Lautstärke Filme an. Manchmal läuft nebenher noch Musik zu der sie leidenschaftlich schlecht singt. Irgendwann nachts geht der Fernseher meistens aus, wenn sie nicht auf dem Sofa eingeschlafen ist. Dann geht es nach oben, wo sie nochmal einen Fernseher hat, der auch gleich angeht. Arme Merlyn.
Meine Gastmutter ist vor allem laut am Telefonieren, wenn sie nicht mit fern schaut. Und auch das stundenlang. Das ganze fängt früh morgens an. Auch am Wochenende. Ausschlafen gibt es hier also nicht.
Ansonsten ist zumindest unsere Gastschwester absolut harmlos. Sie ist einfach da.
Meine Gastmutter ist da etwas anders gestrickt. Wir nennen sie auch liebevoll „die Furie“. Zum Glück ist sie montags bis samstags bis etwa um 20 Uhr arbeiten. Wir versuchen also möglichst alles (Kochen, Waschen, Duschen, …) bis um 8 zu erledigen. Sobald sie nach Hause kommt, sind ihre Augen überall, während Skrupel nirgendwo zu finden sind. Sei es, dass sie uns vorschreibt, wie viel Wasser wir zum Duschen benutzen dürfen, oder einfach unsere Wäsche abhängt und draußen hinwirft, weil sie jetzt waschen will, oder für alle Gäste kocht, nur nicht für uns, oder uns dreckige, voll gestellte Zimmer gibt, uns aber einschärft auch alles gut sauber zu halten. Am besten, wir benehmen uns, als seien wir gar nicht da. Wir vermuten, dass sie nicht mal unsere Namen kennt.
Naja, man kann nicht alles haben. Die einen haben herzliche Gastfamilien und dafür kleine Zimmer zu dritt, wir haben eigene Zimmer und dafür eher weniger Herzlichkeit. Aber auch das kann sich ja mit der Zeit noch ändern.


Wassermangel

Auch den Wassermangel haben wir schon zu spüren bekommen. Montags gibt es unten in der Spüle und im Hof meistens Wasser, irgendwann gegen Ende der Woche (Donnerstag oder Freitag) gibt es auch wieder Wasser im Klo und der Dusche (kleiner Strahl). Das ist die schönste Zeit, keine Klospülung mehr durchs Haus schleppen, wenn man mal muss und stressfrei, wenn auch kalt, duschen.
Freitag Mittag hört das Wasser unten dafür bis Montag auf. Also Wasser sparen. Wir haben ein paar Bottiche, die genutzt werden können. Das Geile daran: sonnen gewärmte Eimerdusche. Das Blöde: kein Waschen und sparen sparen sparen, sonst gibt es ärger.
Das heißt, wir müssen nach der Arbeit unter der Woche Waschen. Ich komm immer gegen halb 6 oder später nach Hause. Die Sonne geht zwischen 6 und 7 unter. Überhaupt habe ich langsam das Gefühl einer Waschverschwörung zum Opfer gefallen zu sein. Egal wann ich waschen will, entweder es gibt plötzlich draußen doch kein Wasser (warum auch immer) oder es fängt in Strömen an zu regnen. Einmal hab ich trotz Regen gezwungenermaßen doch gewaschen und war nicht nur bis auf die Haut durchnässt, sondern hab mir auch gleich noch eine leichte Erkältung eingefangen. Super.
Für Dusche mit Haaren sowie für eine Klospülung braucht man jeweils etwa einen vollen Eimer mit Wasser. Wie viel Liter sind das? Vielleicht um die sieben oder acht? Krass, wie viel für eine doofe Klospülung drauf geht. Man sollte mal in Deutschland Eimer unter die Dusche halten. Wie viele wohl für einen Duschgang gefüllt werden würden?


Das Projekt

Am 11.09. ging es gleich mit Jana, meiner Projektpartnerin, ins Watoto Wema. Zuerst haben wir aber noch Merlyn und Nawal (Merlyns Projektpartnerin) in Njiru bei ihrem Projekt abgesetzt. Wir haben uns sofort verliebt. Klasse Atmosphäre, motivierte, nette Lehrer, nette Räumlichkeiten, tolle Kinder...
Von Njiru ging es noch eine kleine Strecke weiter mit dem Matatu nach Ruai und von da aus mit dem Pikipiki zur Einsatzstelle. Dort angekommen waren wir vor allem enttäuscht. Keine Herzlichkeit, keine richtige Begrüßung. Die Direktorin kam uns vor allem unsympathisch vor. Sie hat uns auch gleich darauf hingewiesen, dass jeder Freiwillige ein Projekt machen muss. Zum Beispiel neue Duschen, ein medical centre, … das heißt Spenden. Aber dafür sind wir eigentlich nicht hier.
Außer uns sind im Moment noch 9 andere Freiwillige im Projekt, die zwischen 1 und 6 Monate bleiben. Alle aus Deutschland oder Holland. Einige sind schon mit Projekten gekommen. Wir fühlen uns ein bisschen wie ein Freiwilligenprodukt, dass nur Geld einbringen soll.
Das Centre besteht aus Küche, Boys und Girls Dorm, Klohaus, kleiner Unterstand mit Tisch, zwei kleinen Klassenräumen für Babyclass/ Pre-school/ 1st class, 2nd class/ 3rd class, kleinem ausgetrockneten Garten, Hühnern, Kaninchen.
Wir haben auch einen Hund und Katzen. Alle sehr zutraulich.
Zum Essen gibt es immer Reis mit Bohnen oder Erbsen.
Ich war bisher nur bei Teacher Lydia und Claudia (Freiwillige) bei den kleineren Kindern. Babyclass von halb 9 bis Lunchtime (halb 1), von 2 bis halb 4 schlafen die Kleinen und wir helfen, die Arbeiten der größeren zu verbessern.
In der Babyclass sind sechs Kinder. Alle auf unterschiedlichem Level. Wir verbringen den Tag damit a, b, c und 1, 2, 3 auf Papier zu zeichnen, um es den Kleinen immer und immer wieder zu erklären. Besonders John, einer der ältesten der Babyclass ist eine harte Nuss. Er ist bestimmt schon sechs, wenn wir auf 1 zeigen, sagt er uns aber immer noch sound a.
Zwischendurch ist ein großer Ansturm, manchmal ist auch einfach rein gar nichts zu tun. Dann gehen wir entweder Bohnen/Erbsen sortieren, reden mit Teacher Lydia oder langweilen uns.
Teacher Lydia ist ein wirklich interessierter und offener Mensch, den wir mit unseren Erzählungen über uns und unser Leben in Deutschland immer wieder zum Staunen bringen.
Es hat sich schon ein richtiger Alltag eingependelt und wir fühlen uns alle bisher wohl. Das Einzige, was mich stört, sind auf der einen Seite die Abgase und auf der anderen, dass ich immer und überall, selbst auf der Arbeit von Mzungus umzingelt bin. Ich muss es irgendwie schaffen, mich besser zu integrieren. Zum Glück hab ich dafür ja noch etwas Zeit, 10 Monate um genau zu sein.
Mal sehen, was sich da noch so alles ergibt. :)